Endspurt auf dem Schicksalsfluss
Ein lauer Abend. Plaudernd sitzen deutsche
und englische Urlauber in kleinen Grüppchen auf dem Oberdeck des
"Gelben Kranich", um bei einem Glas Tsingtao-Bier einen ereignisreichen
Tag gemütlich ausklingen zu lassen. Die eleganten Kleider und Jacketts
erinnern an das Kaptain´s Dinner.
Ein paar Kilometer flussaufwärts kämpft
sich eine Armada schmaler Holzboote unter Zischen und melancholischen
Gesängen Richtung Oberlauf des Shennong. Drahtige kleine Männer,
die mit Muskelkraft und Geschick ihre Sampans Richtung Heimat lenken.
Die liegt 16 Kilometer im Hinterland, und ist in dieser archaischen Fortbewegungsweise
in gut sechs Stunden zu erreichen. Wenn die Tu, landläufig Bootsschlepper
genannt, gegen Mitternacht ihre Frauen und Kinder nach Hause gebracht
haben, liegen die meisten Kreuzfahrer längst in den bequemen Betten
ihrer Kabinen. An den Shennong erinnern die geflochtenen Sandalen und
bunten Steine auf den Nachtkästchen.
Der Ausflug mit den Sampans gehört zu den eindrucksvollsten Programmpunkten
einer Kreuzfahrt auf Chinas längster und bedeutendster Wasserstrasse:
dem Jangtse. Für die Touristen, die vornehmlich aus den USA, Japan
und Deutschland kommen ein Abstecher in eine andere Welt. Für die
einst verfolgte Minderheit der Tu eine willkommene Möglichkeit des
Gelderwerbs. Seit Generationen sind die Sampans ihre Verbindung zur Aussenwelt.
Früher transportierten sie damit Getreide und Gemüse hinunter
nach Badongi, um sie gegen Salz und Essig einzutauschen. Heute trägt
ihre Fracht orangefarbene Schwimmwesten und wird für ein paar Yuan
durch die engen Schluchten geführt.
Zweieinhalb Stunden plagen
sich die Männer: Ziehen sie die Boote vom Ufer aus, oder gegen die
Strömung watend, schieben oder ziehen sie mit kleinen Haken an ihren
Bambusstangen an den Felswänden entlang. Immer wieder springen sie
wieselflink von einer Bootsseite zur anderen. Begleitet von melodischen
Zischlauten und Gesängen. "Das Singen symbolisiert den Zusammenhalt
der Männer" erklärt Jenny Wang in der Drachenschlucht.
Sie erzählt auch die Geschichte von
Herrn Son, der bei den Tu so etwas wie ein Volksheld ist. Der braungebrannte
Grauhaarige im roten T-Shirt, der beflissen von Boot zu Boot turnt und
handsignierte Postkarten verkauft, hatte die Idee der Sampas-fahrenden
Touristen. Sogar in einer Pekinger Zeitung habe man über ihn geschrieben,
berichtet er stolz. Ob sich in ein paar Jahren noch jemand an ihn erinnert?
Dann, wenn der Jangtse aufgestaut ist und der Shennong ein Seitenarm von
vielen. Längst überflutet die grünen Schilder mit der Aufschrift
"Willkommen am internationalen Reiseziel Shennong".
Das Projekt des weltgrößten
Staudamms ist am Oberlauf des Jangtse allgegenwärtig. Nicht nur an
den regelmäßig am Ufer platzierten Schildern, die vom künftigen
Wasserstand zeugen. 175 Meter tief soll der See werden, der sich auf einer
Gesamtlänge von 660 Kilometern zwischen Chongqing und San-dou-Ping
(Provinz Hubei) erstreckt. 30000 Hektar Ackerland werden dafür unter
den Fluten verschwinden
und die Heimat von knapp zwei Millionen Menschen. Dimensionen, die an
einem Schaubild im Informationszentrum in Chongqing besonders deutlich
werden. Im Eling-Park, hoch über der einwohnerreichsten Stadt Chinas,
arbeitet ein Maler an einer Darstellung des Jangtse. Über drei Wände
schlängelt sich der Fluss mit all seinen markanten Stellen und den
Städten und Dörfern an den Ufern. Dort, wo im Zuge der Umsiedlung
die neuen Wohnungen entstehen ist die Farbe noch feucht. Die Details fehlen
hier noch ebenso, wie bei ihren realen Vorbildern, die strahlend weiss
aber vielfach ohne Türen und Fenster hoch oben in den Bergen stehen.
Am Wandbild im Eling-Park beeindruckt am
meisten der rote Faden, der mit Reißnägeln fein säuberlich
an die Wand geheftet ist. Er zeigt an, wie hoch 2009 das Ufer verlaufen
wird. Und das ist so hoch, dass selbst mancher Chinese entsetzt ist über
die Dimensionen. Die meisten freilich nehmen mit Gleichmut das Unvermeidliche
hin. Das Vertrauen in die Wissenschaft erstickt alle Zweifel.
"Beim Staudamm zu arbeiten ist eine
große Ehre" betont Herr Tang traurig. Eine Ehre, die ihm, einem
der Reiseleiter auf dem "Gelben Kranich" nicht zuteil geworden
ist. So schaut der Abgelehnte wehmütig auf die Arbeiter mit den gelben
Helmen, die sich an der gigantischen Staumauer ausnehmen wie Ameisen.
185 Meter hoch und 2335 Meter lang wird das Bauwerk nach seiner Fertigstellung
sein. Rote Stahlträger zeugen von der endgültigen Höhe,
die bald erreicht ist. Das Gewirr riesiger Spezialkräne ist unüberschaubar.
Wie gelbe und rote Krähenbeine ragen sie in den Himmel. Vor ihnen
glitzert ein riesiges silbernes Buch in der Morgensonne. Die aufgeschlagenen
Seiten erzählen in Chinesisch und Englisch von der Tragweite dieses
Projekts, das 1992 unter Ministerpräsident Li Ping beschlossen wurde.
Von den 45 Millionen Kilowatt erzeugten Stroms pro Jahr, der einfacheren
Schiffbarkeit des Jangtse und davon, dass Hochwasserkatastrophen wie 1998
damit endgültig der Geschichte angehörten.
Die neuen Eindrücke zu verdauen bleibt
wenig Zeit. Kaum liegt die riesige Baustelle hinter den Jangtse-Fahrern,
kündigt sich vor ihnen die erste der drei Schluchten an, die der
Grund dafür sind, warum sich ein Großteil der China-Touristen
zur Kreuzfahrt einschifft. Vom Bordlautsprecher aufgescheucht, haben sich
die Passagiere vollzählig an Deck versammelt, um die Einfahrt in
die Xiling-Schlucht nicht zu verpassen. Mit 76 Kilometern ist sie die
längste. Es folgen Wu Xia, die 40 Kilometer lange Hexenschlucht und
die Qutang-Schlucht, die mit acht Kilometern zwar die kürzeste ist,
mit nur 107 Metern Breite, Felsen und Strömungen jedoch viel Geschick
beim Manövrieren fordert. Kapitän Anrung Zhang liebt sie "wegen
ihrer majestätischen Landschaft" besonders. Geschmeidig lenkt
der 59-Jährige aus Chongqing, der seit 30 Jahren den Jangtse befährt,
das Schiff in Richtung seiner Heimatstadt. Vorbei an den Fischern
und Ziegenhirten am Ufer und an den Schweinen, die sich am liebsten direkt
am Fluss im Schlamm suhlen. Nicht selten rutscht eines auf dem glitschigen
Boden ab und treibt dann als aufgeschwemmter Kadaver im ockerbraunen Jangtse-Wasser.
Immer wieder passiert der "Gelbe Kranich"
riesige Kohlehalden. Kein Wunder, dass der Großteil der Schleppverbände
das Schwarze Gold geladen hat. Aber auch alles andere wird auf der wichtigsten
Verkehrsader zwischen Chongqing im Westen und Shanghai an der Mündung
zum Ostchinesischen Meer transportiert: von der Kuhherde bis zum Stahl.
Gelegentlich gibt es einen Stau auf dem "am schwierigsten zu befahrenden
Strom Chinas" (Anrung Zang). Jene Schiffe, die entsprechend gebaut
sind, fahren dann ans Ufer und spucken ihre Passagiere aus, damit die
sich die Beine vertreten können.
Flusskreuzfahrer tun dies an anderer Stelle.
Der Besuch der Geister-Stadt Fengdu ist für sie ebenso obligatorisch
wie für die Einheimischen im fortgeschrittenen Alter. Und wer kein
Vertrauen in den
rostigen Sessellift hat, der muss zu Fuss hinauf zur Residenz des furchteinflössenden
Königs der Hölle. Hoch droben über Fluss, Stadt und Markierung
des künftigen Wasserstandes gilt es, die Totengötter gnädig
zu stimmen. Opfern und Beten hilft dabei ebenso wie eine Reihe von Ritualen.
Etwa das korrekte Überschreiten der Schicksalsbrücken.
Noch eine Tagesreise von Fengdu, dann hat
der "Gelbe Kranich" das Chaotianmen-Dock in Chongqing erreicht.
Am Ufer hocken schon die Kulis in ihrer typischen Haltung auf den Fersen.
Das Joch in der Hand, mit dem sie die vollgepackten Koffer der Kreuzfahrer
von Bord holen werden. Meist sind es Bauern aus dem hügeligen Umland,
die ihre Reisterrassen bestellt haben und sich mit Zustelldiensten in
der Stadt ein kleines Zubrot verdienen. Und während sie nachts wie
die Krähen in den Rohbauten am Hafen hocken und auf Kundschaft warten,
träumen sie, selbst einmal den Jangtse zu befahren. Denn ein altes
Sprichwort besagt: "wer nie den Jangtse hinauffuhr, der war nirgendwo."
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